Hunderte Exemplare von Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica in neuer Zählung gefunden
Physik-News vom 13.11.2020
Dr. Andrej Svorenčík, Postdoktorand an der Universität Mannheim, und Professor Mordechai Feingold vom California Institute of Technology (Caltech) haben in jahrelanger Suche bisher unbekannte Exemplare von Isaac Newtons bahnbrechendem Wissenschaftsbuch aufgespürt.
Die Ergebnisse der Zählung deuten darauf hin, dass Isaac Newtons Meisterwerk aus dem 17. Jahrhundert, umgangssprachlich Principia genannt, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich war als bisher angenommen. Durch die neue Zählung hat sich die Zahl der bekannten Exemplare der berühmten Erstausgabe, die 1687 veröffentlicht wurde, mehr als verdoppelt. Die letzte Exemplarzählung dieser Art, die 1953 veröffentlicht wurde, hatte 189 Exemplare identifiziert, während die neue Suche 386 Exemplare hervorbrachte.
Publikation:
Mordechai Feingold & Andrej Svorenčík
A preliminary census of copies of the first edition of Newton’s Principia (1687)
Annals of Science Volume 77, 2020 - Issue 3
DOI: 10.1080/00033790.2020.1808700
Die Suche von Dr. Andrej Svorenčík, Postdoktorand für Geschichte der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mannheim und seinem ehemaligen Professor für Wissenschaftsgeschichte am Caltech, Mordechai Feingold, dauerte mehr als ein Jahrzehnt. Dennoch vermuten die beiden Wissenschaftler, dass wahrscheinlich bis zu 200 weitere Bücher immer noch undokumentiert in öffentlichen und privaten Sammlungen lagern. Sie schätzen, dass im Jahr 1687 etwa 600, möglicherweise sogar 750 Exemplare der Erstausgabe des Buches gedruckt wurden.
Neben unbekannten Exemplaren fanden die Forscher Belege dafür, dass die Principia, von der man einst annahm, sie sei nur einer ausgewählten Gruppe von Mathematikexperten vorbehalten, umfassender gelesen und verstanden wurde als zuvor angenommen. „Wenn Sie die Exemplare durchsehen, finden Sie kleine Notizen oder Anmerkungen, die Hinweise darauf geben, wie sie verwendet wurden", sagt Svorenčík, der etwa 10 Prozent der in der Zählung dokumentierten Exemplare persönlich inspiziert hat.
Wenn Svorenčík zu Konferenzen in verschiedene Länder reiste, nahm er sich Zeit, lokale Bibliotheken zu besuchen. „Man schaut sich die Eigentumsmerkmale an, den Zustand des Einbands, die Druckunterschiede und vieles andere", so der Wissenschaftler. Auch ohne die Bücher aus der Nähe zu inspizieren, konnten die Historiker anhand von Bibliotheksaufzeichnungen und anderen Briefen und Dokumenten herausfinden, wem sie gehörten und wie die Exemplare weitergegeben wurden.
Funde hinter dem Eisernen Vorhang
Das Forschungsprojekt ist aus einer Arbeit hervorgegangen, die Svorenčík als Student für einen von Feingold unterrichteten Kurs geschrieben hat. Svorenčík, der ursprünglich aus der Slowakei stammt, hatte eine Semesterarbeit über die Verbreitung der Principia in Mitteleuropa verfasst. „Mich interessierte, ob es Exemplare des Buches gab, die sich bis in meine Heimatregion zurückverfolgen ließen. Die in den 1950er Jahren durchgeführte Zählung führte keine Exemplare aus der Slowakei, der Tschechischen Republik, Polen oder Ungarn auf. Dies ist verständlich, da die Exemplarzählung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durchgeführt wurde, was die Rückverfolgung von Kopien sehr schwierig machte.“
Zur Überraschung von Svorenčík fand er viel mehr Exemplare, als Feingold erwartet hatte. Nach Semesterende schlug Feingold Svorenčík vor, sein Projekt in die allererste vollständige und systematische Suche nach Kopien der ersten Principia-Ausgabe umzuwandeln. Die anschließende Detektivarbeit auf der ganzen Welt ergab etwa 200 bisher nicht identifizierte Exemplare in 27 Ländern, darunter 21 Exemplare in Deutschland.
Svorenčík und Feingold stießen sogar auf verlorene oder gestohlene Exemplare des Meisterwerks. So wurde beispielsweise bei einem Buchhändler in Italien ein Exemplar entdeckt, das ein halbes Jahrhundert zuvor aus einer Bibliothek in Deutschland gestohlen worden war. Die deutsche Bibliothek benötigte aber zu lange, um das Exemplar zurückzukaufen oder es zu beschlagnahmen, so dass es wieder auf dem Markt landete. Nach Angaben der Historiker werden Erstausgaben der Principia heute für 300.000 bis 3 Millionen Dollar über Auktionshäuser wie Christie's und Sotheby's sowie auf dem Schwarzmarkt verkauft.
Als Fortführung des Forschungsprojekts planen sie, das Verständnis darüber weiter zu verfeinern, wie die Principia die Wissenschaft des 18. Jahrhunderts geprägt hat.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Mannheim via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.